top of page

LESEPROBE - Band 1

"Der Tag nach dem 31. Dezember"  (c) Roland Schmutz "Lyric Lounge" Switzerland 2017

​

Re-Start

Ich starrte wie betäubt auf das Display.

"Steven, Steven, was hast du? Gehts dir gut?" Lucas sah mich entgeistert an. "Du siehst nicht gut aus. Fall mir bloss nicht in Ohnmacht."

" Ich kenne die Leute auf dem Bild" flüsterte ich krächzend ins Leere. " Das ist meine Urgrossmutter Maria mit Ihrer Tochter Jenny, meiner Grossmutter"

"Machst du Witze" kritisierte mich Lucas.

"Ich kaufe nach 80 Jahren, irgendwo auf der Welt, ein uraltes iPad, von welchen sicherlich Millionen hergestellt wurden und finde ausgerechnet jenes meiner Urgrossmutter! Das ist doch kein Zufall, irgendwas stimmt hier nicht."

Dies war natürlich ein gefundenes Fressen für Lucas. Er konnte es kaum erwarten mehr von diesem iPad aus dem Jahre 2023 zu erfahren.

Die beiden Frauen lächelten mich an als ob keine Zeit vergangen war. Sie sassen gemütlich in einer schönen Gartenlounge und hatten vor sich einen Tisch mit Kaffee und Kuchen. Auf der rechten Seite des Bildes konnte man noch eine Hand und ein Stück Arm erkennen. An der linken Hand erkannte man einen schlichten goldenen Ring. War das mein Urgrossvater? Ich kannte leider nur meine Grossmutter Jenny persönlich, da sie sonst alle immer in der Schweiz lebten. Ich aber in der US-Föderation geboren wurde. Ich wusste allerdings, dass meine Urgrosseltern oft reisten und in der damaligen USA viele Bekannten und Geschäftsbeziehungen hatten. Auf dem Foto war meine Urgrossmutter vielleicht 40 oder 45 Jahre alt.

"Deine Ur-Oma war aber ein heisser Feger" Lucas hatte sich schneller wieder gefasst und kommentierte das Bild auf seine eigene Art. Zu erkennen war eine Dame mit kürzeren blonden Haaren und einem strahlenden, entwaffnenden Lächeln. Ihre Augen waren so offen und glücklich. Auch Ihre Tochter strahlte dieselbe Offenheit aus.

"Ja, ich sehe sie so auch zu ersten Mal. Sonst existieren nur Bilder oder Dateien mit späterem Datum. Aber selbst mit 70 Jahren war ihre besondere Schönheit und ihr Strahlen absolut vorhanden.

Nach dem ersten Schock nahmen wir das iPad genauer unter die Lupe. Die kleinen Bildchen auf der Startseite konnte man antippen und dann öffneten sich kleinere und grössere Programme. Man nannte die Dinger damals App's.

Das Ganze war für uns sehr schwer im Handling, da wir heute all unsere Programme bereits per Virtual Human Chip in uns tragen und per VCC einfach irgendwo direkt abfragen konnten. Wir benötigen heute keine separaten Programme mehr, sondern lediglich unsere Stimmen. Der Rest macht die Supercloud. Aber irgendwie machte es Spass, sich hier so kreativ durch ein völlig unbekanntes Retro-Gerät zu wursteln. Es war fast ein Spiel oder besser ein Abenteuer durch die Vergangenheit. Durch meine eigene Vergangenheit. Verrückter konnte es kaum kommen. Auf einer Seite fanden wir ein App welches mit <Fotos> angeschrieben war. Hinter diesem App verbargen sich unzählige Bilder. Genau nach bestimmten Kriterien sortiert. Unter <Kids> und <Familie> verbargen sich die wundervollsten Bilder. Die Familie meiner Urgrossmutter schien sehr glücklich und gut behütet zu sein. Was war denn nur geschehen, dass dies alles bis heute verschwunden war? Meine Mutter hielt sich über ihren Familienursprung immer sehr bedeckt und erzählte mir wenig. Einzig ein paar Bilder von Grossvater und Grossmutter haben wir noch irgendwo in der Cloud. Meine Familie, dass sind nur meine Mutter und ich. Soviel ich weiss gibt es weder Geschwister noch Cousins noch sonst eine Verwandtschaft. Ich bin wahrscheinlich der letzte männliche Zweig aus der Dynastie meines Urgrossvaters. Auf den Bildern war auch der Bruder meiner Grossmutter zu erkennen. Es war fast als sähe ich mich. Er mag auf den Fotos so zwischen zwölf und sechzehn jährig sein. Auch er strahlt auf den Fotos Lebensfreude aus. Man sah die Familie zuhause oder in den Ferien, beim Sport oder beim feiern. Eine richtige Sammlung an Familiengeschichte welche zurückgeht bis ins Jahr 2010. Soviel ich über die technologischen Entwicklungen weiss, waren solche Geräte erst seit etwas dann, für die breite Bevölkerung, zu erwerben. Vorher musste man Dokumente oder Bilder immer irgendwo raufspeichern oder gar auf Papier ausdrucken. Für uns heute unvorstellbar. 

bottom of page